Lohnforderungen gemäß § 38 InsO (Insolvenztabelle) – Brutto oder Netto?

Korrekte Behandlung von Lohnforderungen gemäß § 38 InsO

Grundsätzlich sind Lohnforderungen gemäß § 38 InsO brutto anzumelden, da es sich regelmäßig um eine Bruttolohnvereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber handelt, die auch klageweise durchsetzbar wäre.

Im Falle der Ausschüttung ist arbeitgeberseitig eine Lohnabrechnung durchzuführen, bei der die Abführung von Lohnsteuer und Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherung durch den Arbeitgeber zu beachten ist (Lohnabzugsverfahren).

Anmeldung einer Lohnforderung gemäß § 38 InsO (brutto oder netto?)

Wiederkehrend taucht die Frage auf, ob Lohnforderungen gemäß § 38 InsO als Brutto- oder als Nettolohn anzumelden sind. In diesem Zusammenhang besteht ebenfalls Klärungsbedarf zu der Frage, wie diese Forderungen sowie die damit im Zusammenhang stehenden Forderungen der Sozialversicherungsträger (Krankenkassen) zu prüfen sind und wie auf diese auszuschütten ist.
Die Anmeldung von Lohnansprüchen gemäß § 38 InsO hat grundsätzlich brutto zu erfolgen.
Die Basis der durch den Arbeitnehmer angemeldeten Lohnforderung ist im Regelfall die Bruttolohnvereinbarung mit seinem Arbeitgeber. Die Geldschuld des Arbeitgebers umfasst bei Vereinbarung einer Bruttovergütung auch die an das Finanzamt bzw. die Sozialversicherung abzuführenden Lohnbestandteile (BAG Großer Senat 07.03.2001, GS 1/00, NZA 01, 1195).
Ergänzend ist an dieser Stelle anzumerken, dass der Arbeitnehmer aufgrund des steuerlichen Zuflussprinzips technisch nicht in der Lage wäre, seinen Netto-Lohnanspruch zu ermitteln.

Entstehungs- und Zuflussprinzip

Die Ermittlung der Sozialversicherungsbeiträge ist grundsätzlich an den Entstehungszeitpunkt gebunden. Dem gegenüber unterliegt die Ermittlung der steuerlichen Abgaben (Lohnsteuer) grundsätzlich dem Zuflussprinzip.
Das bedeutet, dass die korrekte in Abzug zu bringende Lohnsteuer erst zum Zeitpunkt der tatsächlichen Auszahlung durch den Insolvenzverwalter korrekt ermittelt werden kann. Ergänzend ist hier zu beachten, dass auch weitere steuerliche Kriterien sich zum Zeitpunkt der Auszahlung im Verhältnis zum Zeitpunkt der Forderungsanmeldung geändert haben können. Beispielhaft sei hier die Kirchensteuer genannt.
Würde der Arbeitnehmer also zum Zeitpunkt der Anmeldung seine Netto-Lohnforderung ermitteln bzw. ermitteln lassen, so wäre die Lohnsteuer gegebenenfalls falsch, da er die anzuwendende Steuerformel für den Zeitpunkt der Ausschüttung in der Zukunft nicht kennt.

Prüfung einer Lohnforderung gemäß § 38 InsO

Bei der Prüfung einer Lohnforderung gemäß § 38 InsO ist zu beachten, dass sich die Person des Insolvenzverwalters in der Arbeitgeberfunktion befindet und damit gegenüber dem Arbeitnehmer aufgrund seiner Fürsorgepflicht verpflichtet ist, die Abzüge von Lohn und Gehalt richtig zu berechnen und abzuführen (BAG 11.10.89, 5 AZR 585/88, NZA 90, 309).

Beitragsschuldner gegenüber der Sozialversicherung ist gemäß §§ 28 d und e SGB IV, 253 SGB V und 174 Abs. 1 SGB VI allein der Arbeitgeber, hier der Insolvenzverwalter (Abführungspflicht). Darüber hinaus ist in § 28 e SGB IV geregelt, dass „die Zahlung des vom Beschäftigten (Arbeitnehmer) zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrages als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht gilt“. Der Beitragsanteil des Arbeitnehmers kann durch den Arbeitgeber (hier Insolvenzverwalter) nur durch Entgeltabzug nach § 38 g Satz 2 SGB IV geltend gemacht und abgeführt werden (Lohnabzugsverfahren).

Der Arbeitnehmer kann gegenüber dem Arbeitgeber grundsätzlich die Brutto-Vergütung einklagen (Bruttolohnvereinbarung; BAG Großer Senat 07.03.2001, GS 1/00, NZA 01, 1195). Daraus lässt sich ableiten, dass der anmeldende Arbeitnehmer im Rahmen einer Feststellungsklage ebenfalls die Anerkennung seiner Gesamtbruttolohnforderung im Rahmen der Insolvenztabelle bewirken kann.

Damit ergibt sich, dass im Rahmen der Forderungsprüfung kein einzelner Lohnbestandteil der angemeldeten Lohnforderung gem. § 38 InsO bestritten werden kann. Der Arbeitgeber (hier Insolvenzverwalter) muss die im Bruttolohn enthaltenen Lohnbestandteile für Lohnsteuer und Sozialversicherung berechnen und treuhänderisch abführen (vergleiche auch Abführungspflicht des Arbeitgebers, hier Insolvenzverwalter). Daraus ist zu folgern, dass der angemeldete Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherung nur bei der Anmeldung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge durch den Sozialversicherungsträger bestritten werden kann.

Behandlung der Sozialversicherungsbeiträge

Regelmäßig steht der Insolvenzverwalter vor dem Problem, dass Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherung sowohl im Rahmen der Bruttolohnforderung des Arbeitnehmers als auch im Rahmen der Anmeldung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge durch den Sozialversicherungsträger zur Insolvenztabelle angemeldet werden.

Es handelt sich hier also um eine Doppelanmeldung. Insofern muss der Insolvenzverwalter den entsprechenden Teilbetrag im Rahmen der Forderungsprüfung bei einer Anmeldung bestreiten. Wie bereits weiter oben ausgeführt (siehe auch Prüfung einer Lohnforderung gem. § 38 InsO) ist ein Bestreiten eines einzelnen Lohnbestandteiles aus der Bruttolohnforderung des Arbeitnehmers nicht möglich.

Daher kann der Verwalter diesen doppelt angemeldeten Anteil nur im Rahmen der Forderungsprüfung der durch den Sozialversicherungsträger angemeldeten Gesamtsozialversicherungsbeiträge bestreiten.

Ergänzende Hinweise

Ist der Arbeitgeber eine juristische Person, kann nicht nur das Unternehmen/die Schuldnerin selbst, sondern die Person mit Organstellung im Unternehmen, z. B. der Geschäftsführer einer GmbH, persönlich von der Einzugsstelle gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 a StGB in Anspruch genommen werden (BGH 29.09.2008, AZ II ZR 162/07, NJW 09, 295).

Dies gilt jedoch nur für die Arbeitnehmeranteile. Soweit die Arbeitgebereigenschaft auf den Insolvenzverwalter übergeht, ist hier zu unterstellen, dass auch die Haftung auf diesen übergeht. Auch aus diesem Grund ist grundsätzlich davon abzuraten, einzelne Lohnbestandteile aus der vom Arbeitnehmer angemeldeten Bruttolohnforderung, hier Arbeitnehmer-Sozialversicherungsanteil, zu bestreiten. Hier kann gefolgert werden, dass ein Bestreiten und eine daraus resultierende mögliche Nicht-Abführung auch zu einer Inanspruchnahme des Insolvenzverwalters gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 a StGB führen könnte.

Kennt der SV sämtliche Arbeitgeberanteile aus allen angemeldeten Bruttolohnforderungen?

Die Anmeldung seitens der Sozialversicherer basiert regelmäßig auf den vom eingesetzten Prüfer ermittelten Beträgen. Die Prüfer haben die Aufgabe, mit Hilfe der Unterlagen, die ihnen der Insolvenzverwalter zur Verfügung stellt, festzustellen, in welcher Höhe Sozialversicherungsanteile anzumelden sind. Soweit der Prüfer Einsicht in die in der Insolvenztabelle angemeldeten Lohnforderungen nimmt, ermittelt er auch bis dahin der Sozialversicherung unbekannte Teile, die anzumelden wären. Insofern hat der Sozialversicherer die Möglichkeit zur Feststellung und Anmeldung seiner Forderungen.
Soweit in einem Verfahren kein Prüfer eingesetzt wird, würde der Sozialversicherer diese Kenntnis nicht haben. Hier ist sicherlich kein direkter Haftungsanspruch gegenüber dem Insolvenzverwalter zu sehen, jedoch könnte der Insolvenzverwalter seinerseits den Sozialversicherer auf eben solche Ansprüche hinweisen, so dass dieser die Ansprüche anmelden kann.

Soweit der Sozialversicherer die geltend zu machenden Anteile trotz Kenntnis nicht anmeldet, ist insbesondere bezüglich der Arbeitgeberanteile kein direkter Haftungsanspruch gegenüber dem Insolvenzverwalter zu sehen, da die tatsächliche Anmeldung nur durch den Sozialversicherer selbst erfolgen kann, welcher im Vorfeld in Kenntnis gesetzt wurde.

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Copyright Dr. J. Heinrich